Außenhandel aktuell

„Deutschland ist, wenn es um Rohstoffe geht, erpressbar.“

Ein Stimmungsbild zur aktuellen Lage vom Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), dem Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), des Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG.

Kaum ein Thema beschäftigt deutsche Unternehmen derzeit so sehr wie die Handelsbeziehungen mit China. Vor allem die Abhängigkeit bei strategisch wichtigen Rohstoffen belastet die Industrie zunehmend. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sagte jetzt auf einem Kongress in Berlin: „Deutschland ist, wenn es um Rohstoffe geht, erpressbar.“ Die Abhängigkeit ist vor allem bei mineralischen Rohstoffen wie Seltenen Erden groß. Doch ohne diese Rohstoffe gibt es keine Energiewende, keine E-Mobilität oder Digitalisierung. Was Abhängigkeit bedeutet, ist der Industrie und der Politik erst mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine schmerzlich bewusst geworden. Der Macht Chinas will man jetzt etwas entgegensetzen.

So plant die Bundesregierung, das Instrument der Investitionsgarantien zu überarbeiten, um somit deutsche Auslandsinvestitionen verstärkt in Märkte abseits der Volksrepublik zu lenken. Geplant sind günstigere Garantiekonditionen, um Anreize für Investitionen in den Staaten zu bieten, die bisher nicht so im Fokus standen, aber Potenzial bieten. Damit sind aber längst nicht alle Probleme gelöst. Denn die Unternehmen sind bereits mitten in einer Art „geopolitischem Schlachtfeld“ zwischen den USA und China gefangen. Ihr Streben nach wirtschaftlicher Macht und technischer Vorherrschaft hat dazu geführt, dass die beiden Wirtschaftsmächte ihre Zukunftstechnologien immer stärker entkoppeln. Diese als „Decoupling“ (= Entkopplung) bezeichnete Entwicklung bringt das Geschäftsmodell der deutschen Wirtschaft, das auf weltweiten Lieferketten und Absatzmärkten sowie der Verfügbarkeit von günstigen Ressourcen und Produktionsstandorten beruht, zunehmend ins Wanken. Das Dilemma: Die zwischen den USA und China gegenseitig verhängten Handels- und Investitionsbeschränkungen engen die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit ein, da Unternehmen, die sowohl in China als auch in den USA aktiv sind, mit teilweise widersprüchlichen Sanktionen konfrontiert werden. Halten sie die Sanktionsvorschriften aus dem einen Land ein, kann es passieren, dass sie dadurch Sanktionsvorschriften des anderen Landes verletzen. Das ist nicht das einzige Problem.

Wie auch der BDI, so befürchtet der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), dass die Unternehmen in der Lieferkette möglicherweise erpressbar sind und im Zuge des Decoupling unter politischen Druck geraten könnten. Hintergrund für diese Einschätzung sind die Ergebnisse einer Umfrage, bei der mehr als Hälfte der Befragten angaben, dass sie Komponenten aus China oder den USA beziehen, die sie als „kritisch“ für ihr Geschäft bezeichnen - ein großer Teil davon sind elektronische Komponenten und Elektrobauteile, einschließlich Halbleiter, Leiterplatten, Steuerungen oder auch Software. Um sich vor Ausfuhr- und Einfuhrverbote zu schützen, haben einige Unternehmen bereits damit begonnen, unterschiedliche Produkte für den amerikanischen und den chinesischen Markt zu entwickeln. Eine kostspielige Strategie. Aus VDMA-Sicht könnte dies aber ein wirksames Mittel sein, um sich vor Handelshemmnissen zu schützen.

„Diese Lage ist für die deutschen Wirtschaft tatsächlich schwierig“, so Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Aus seiner Sicht gehört Deutschland geopolitisch klar an die Seite der USA. Allerdings würde eine Wiederwahl Donald Trumps auch die Kooperation mit den USA wieder erschweren. Matthes: „Deutsche Firmen tendieren zunehmend dazu, ihre Geschäfte lokal oder regional zu konzentrieren und so von internationalen Handelsbeschränkungen stärker unabhängig zu machen. Für das deutsche Exportmodell ist das allerdings eine schlechte Nachricht, weil Exporte dabei zunehmend durch Produktion vor Ort ersetzt werden und deutsche Jobs ins Ausland abzuwandern drohen.“. Auch der DIHK beobachtet die geopolitische Abschottung mit großer Besorgnis - allen voran den zunehmenden Protektionismus in der Volksrepublik. „Das Land setzt selbst eher auf Abschottung, will aber überall in der Welt mehr mitmischen – auch bei uns in Deutschland“, so Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.

Die deutschen Unternehmen müssten bei einem China-Engagement darauf achten, nicht „in eine 0-1-Situation zu geraten - also, dass nichts mehr läuft“, wenn China wegbreche. Das hätten inzwischen aber schon viele Betriebe in ihre Risiko-Systeme eingepreist. In der deutschen Wirtschaft würde mittlerweile mehr diversifiziert, so Wansleben. „Da ist inzwischen viel in Bewegung - möglicherweise mehr, als in der öffentlichen und politischen Diskussion wahrgenommen wird.“. Decoupling ist keine vorübergehende Taktik, sondern eine grundlegende Strategie Chinas und der USA. Die Konfliktlinien verlaufen dabei entlang von Technologien wie künstlicher Intelligenz, 5G, Halbleitern, Plattformökonomie oder Cloud-Software und wurden unter USPräsident Donald Trump noch einmal verschärft. Auf immer mehr chinesische Waren wurden Sonderzölle erhoben, es gibt Einfuhr- und Ausfuhrverbote, etwa für Chips, Netzwerkausrüstung und Grundstoffe wie Seltene Erden oder bestimmte Chemikalien. Hinzu kommen Nutzungsverbote für geschäftsrelevante Software und Limitierungen im Datentransfer. Die Freundschaften zwischen den USA und China waren noch nie besonders innig. Doch seit der Volksrepublik beschloss, in insgesamt zehn strategischen Industriezweigen technisch führend und unabhängig werden zu wollen, haben sich die Handelsziehungen weiter abgekühlt und die protektionistischen Maßnahmen zugenommen - auf beiden Seiten. Daran hat auch die Biden-Regierung wenig geändert und die Entwicklung wird vermutlich weitergehen.

So gibt es aus Sicht des BDI immer mehr Anzeichen für ein Auseinanderfallen der Weltwirtschaft in Wirtschaftsblöcke. Die Unternehmen würden sich zwar bereits auf ein mögliches Decoupling der Weltwirtschaft unter anderem mit einem gesonderten Aufbau von Forschungs- und Produktionskapazitäten je Wirtschaftsregion (Nearshoring) oder der Verlagerung von  Geschäftseinheiten in andere Wirtschaftsregionen vorbereiten. Eine Regionalisierung der Produktion oder weitgehende „Deglobalisierung” ist aus Sicht des Verbandes aber nicht zu erwarten.

„Deutsche Unternehmen, deren größte Absatzmärkte in der Regel die USA und zugleich China sind, sollten in diesem Spannungsfeld eigene Strategien entwickeln und sich positionieren. Andernfalls könnten sie sich ins Abseits manövrieren“, sagt Andreas Glunz, Bereichsvorstand International Business bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Dabei ist es aus Sicht von Glunz nötig, sich vom in den letzten Jahrzehnten vielfach betriebenen Single-Sourcing zu verabschieden. Mehr Lokalisierung und Diversifizierung seien zwei Antworten auf die veränderte geopolitische Lage. Und er mahnt dazu, in Szenarien mit umsetzungsreifen Plänen zu denken, die auch den Worst Case umfassen. Nicht nur die USA und China versuchen, ihre Märkte stärker zu schützen.

Auch in der EU gibt es diese Tendenzen – wenn auch mit einem anderen Hintergrund. Geplant ist, durch direkte Eingriffe in den Markt und nicht zuletzt durch gezielte staatliche Förderung bestimmter Industriezweige eine größere Unabhängigkeit von Lieferungen aus Staaten wie China zu erzielen und so weniger anfällig für internationale Krisen zu werden. Ein völliges Abkoppeln der Europäischen Union von internationalen Lieferketten oder auch nur von China würde die EUStaaten jedoch hunderte Milliarden Euro kosten, wie beeindruckende Simulationsrechnungen des renommierten Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zeigen.

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